Forschungsprojekt Blindenkurzschrift-Rückübersetzung 

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Forschungsprojekt

Rückübersetzung der deutschen Blindenkurzschrift
 
 
 
 

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1 Einführung

Das international gültige Blindenschrift-Alphabet wurde im Jahre 1825 von Louis Braille (1809 - 1852) geschaffen. Mit dieser Art von Punktschrift, bei der 6 Punkte in 2 senkrechten Reihen nebeneinander stehen und einen "Buchstaben" bilden, lassen sich bis zu 63 verschiedene Zeichen darstellen. Die erhabenen Punkte eines Zeichens stehen dabei so dicht beieinander, dass Sie mit dem Finger als Ganzes ertastet werden können. Der Platzbedarf eines Zeichens richtet sich mit 6 mm x 10 mm nach der Fingerkuppe eines erwachsenen Lesers.[1]

Als Beispiel wird in der folgenden Zeile das ABC in Blindenschrift dargestellt:

abcdefghijklmnopqrstuvwxyz

Um den Platzbedarf zu reduzieren und Texte schneller schreiben und lesen zu können, wurde die deutsche Blindenkurzschrift geschaffen. Diese beinhaltet 346 Abkürzungen für Lautgruppen, Silben und ganze Wörter (ähnlich der Stenografie). Dazu kommt ein Regelwerk, das bestimmten Kürzungen abhängig von ihrer Stellung im Wort jeweils eigene Bedeutungen zuweist und damit die Mehrfachverwendung einzelner Zeichen ermöglicht. Die Kurzschrift reduziert den Umfang eines Textes im Mittel um 30 % gegenüber der "Schwarzschrift", wie die Schrift der Sehenden von Blinden genannt wird.

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2 Problemstellung

Nicht alle Wörter und Sonderzeichen der Blindenkurzschrift sind zweifelsfrei rückübersetzbar. Während ein menschlicher Leser diese Zweifelsfälle aus dem Kontext heraus auflösen kann, hat der Computer in manchen Fällen ernste Schwierigkeiten. Der Programmieraufwand für eine 100 %-Lösung erscheint bald größer und größer, wenn man sich intensiver mit der Materie auseinandersetzt. Die deutsche Blindenkurzschrift galt deshalb in Fachkreisen weithin als "nicht rückübersetzbar".

Betrachten wir nun die Aufgaben, die es dabei zu lösen gilt.

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2.1 Mehrdeutigkeit von Kürzungen

Die meisten Kürzungen werden in Form einzelner Buchstaben oder Buchstabenkombinationen dargestellt, die in der Schwarzschrift auch als normale Wortbestandteile auftreten. Sie bestehen nur selten aus eindeutig rückübersetzbaren Zeichen - etwa Zahlen oder Sonderzeichen, wie sie sonst in Wörtern nicht vorkommen. Es sind also nicht alle Buchstaben oder Buchstabenfolgen in gekürzten Wörtern als Kürzungen zu interpretieren.

Beispiele:

Die Endungen "-UNG" und "-HEIT" werden mit den einzelnen Buchstaben "u" und "h" dargestellt, und zwar sowohl am Ende eines Wortes als auch mitten im Wort. Eine typische Anwendung dieser Regel finden wir in Wörtern wie "Heizung" und "Heizungsmonteur" entsprechend "h3zu" und "h3zusmont2r" oder "Einheit" und "Einheiten" entsprechend "6h" und "6hc".
Demnach müsste das gekürzte Wort "kuh" (das Tier) bei der Rückübersetzung mit "Kungheit" wiedergegeben werden, was offensichtlich falsch ist.

Weiterhin gibt es zahlreiche zweiformige Kürzungen, wie etwa "zs" für "zusammen", die häufig als Wortbestandteil von Nomen oder Nomenkomposita auftreten. So darf "zs" bei Wortfugen wie in "Salzsäure" oder "Ersatzspur" nicht rückübersetzt werden.

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2.2 Mehrdeutigkeit von Wörtern

Es gibt unterschiedliche Wörter, die nach der Kürzung zum gleichen Wortbild (Punktmuster) führen. Diese Wörter können nur aus dem Kontext richtig interpretiert werden.

Beispiele:

Der Ort "Verchen" und das Wort "vermöchten" werden in Blindenkurzschrift beide als "v74c" dargestellt.

Das Wort "Grabschrift" wird in Blindenkurzschrift als "grab5t" dargestellt, ebenso das Verb "grabscht" (von "Grabschen"). Auch der Plural "Grabschriften" wird mit "grab5tc" identisch dargestellt wie das Verb "grabschten".

Das "Figurteil" wird ebenso wie das "Fertigurteil" als "f>urt3l" in Blindenschrift dargestellt.

Diese Aufzählung könnte noch fortgesetzt werden. Insbesondere bei Eigennamen, bei denen alle möglichen Zeichenfolgen jenseits linguistischer Regeln vorkommen können, sind solche Mehrdeutigkeiten zu finden.

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2.3 Mehrdeutigkeit von Ankündigungszeichen

Da der Zeichenvorrat von 63 möglichen Punktkombinationen nicht zur Darstellung aller möglichen Textzeichen ausreicht, arbeitet die Blindenschrift mit Ankündigungszeichen und Einschubzeichen, bei denen einzelne Zeichen, Wörter oder längere Texte durch An- und Abkündigungstechniken eine andere Bedeutung erhalten. Dazu gehören Einschübe in Mathematikschrift, 8-Punkt-Computerbraille (zur Darstellung von Internet-Adressen und Dateinamen), Fremdsprachen und ungekürzte Textpassagen. Diese Einschübe müssen erkannt und durch besondere Rückübersetzungsmodi in Normalschrift zurückgeführt werden.

Beispiele:

Das Wort "Tagesschau" wird mit "tag%51" übersetzt, die Internet-Adresse "www.tagesschau.de" dagegen als Einschub in Computerbraille mit "'$www.tagesschau.de". Der hierbei verwendete Apostroph (Punkt 6) kann in anderem Zusammenhang auch als Ankündigung für Kleinschreibung dienen, das Dollar-Zeichen (Punkte 4, 6) als Ankündigung für Großschreibung.

Fachbegriffe können in Blindenschrift zur besseren Lesbarkeit als Einschub in Vollschrift (weitgehend ungekürzt) dargestellt werden. Dann wird ihnen die Zeichenfolge "Apostroph-Punkt" vorangestellt wie in "'.desoxiribonukleins`ure".

Für fremdsprachliche Einschübe wird dasselbe Zeichen verwendet, das im Wortinneren oder am Wortende für die Kürzung "ACH" steht. Für die Großschreibung einzelner oder mehrerer Buchstaben im Wortinneren werden die gleichen Zeichen verwendet, die für die Kürzungen "CK" und "IG" stehen. In solchen Fällen dürfen dann keine Kürzungen innerhalb des Wortes verwendet werden.

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2.4 Mehrdeutigkeit von Akzentbuchstaben

Akzentbuchstaben können in der deutschen Blindenschrift auf zweierlei Weise dargestellt werden: entweder in Umschrift oder mit den Braillezeichen aus der jeweiligen Sprache. In beiden Fällen wird ein Akzentbuchstabe mit einem vorangestellten Punkt 4 angekündigt (in der Schwarzschrift entspricht dieser einem Anführungszeichen).

Beispiel:

"Café Molière" kann entweder als "'caf"e moli"ere" oder als "'caf"% moli"~re" dargestellt werden. Selbst die letztgenannte Darstellungsform, die Hoffnungen auf eine eindeutige Rückübersetzbarkeit weckt, erweist sich als nicht hinreichend, da es bereits innerhalb der wenigen europäischen Sprachen mehrfach verwendete Braillezeichen bei den Akzentbuchstaben gibt.

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2.5 Mehrdeutigkeit von Sonderzeichen

Die deutsche Blindenschrift unterscheidet nicht zwischen sich öffnenden und schließenden Klammern, was die Zuordnung von Klammerpaaren erschwert.

Beispiele:

"(siehe unten)" wird übersetzt mit "=s0he /tc=".
"[Anmerkung des Verfassers]" wird übersetzt mit "'=+m7ku . -fa~7s'=".

Dazu kommen weitere Sonderzeichen, für die es in der Schwarzschrift mehrere unterschiedliche Zeichen gibt.

Beispiele:

Das Abtrennungszeichen, bestehend aus den Punkten 5 und 3, 6 kann je nach Kontext für einen senkrechten Strich, ein Aufzählungszeichen (Mittepunkt) oder ein Silbentrennzeichen usw. stehen.

Der Punkt 6 kann als Apostroph, als Ankündigungszeichen für Kleinschreibung oder als Aufhebungszeichen verwendet werden. Das Aufhebungszeichen gibt einem oder mehreren nachfolgenden Zeichen deren ursprüngliche Bedeutung zurück. Diese sind dann beispielsweise nicht mehr als Kürzung zu interpretieren.

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2.6 Abhängigkeit von der Stellung im Wort

Einige Zeichen haben in der Blindenkurzschrift am Wortanfang eine andere Bedeutung als am Wortende oder im Wortinneren. Ein Zeichen kann also abhängig von dessen Stellung für eine andere Kürzung stehen oder muss als Ankündigungs- oder Satzzeichen gelesen werden. Bei der Zahlendarstellung beispielsweise müssen die Buchstaben "a" bis "j" als Zahlen gelesen werden, wenn ein Zahlzeichen vorangestellt wird. Diese intensive Mehrfachverwendung einzelner Zeichen, abhängig von der Stellung im Wort, stellt eine zusätzliche Hürde dar.
Beispiele:

Für die Zahlen 1 bis 9 und 0 werden die Buchstaben a bis j mit vorangestelltem Zahlzeichen verwendet ("#a" bis "#i" und "#j"). Das Zahlzeichen kann jedoch innerhalb und am Ende von Wörtern auch für die Zeichenfolge "ICH" stehen. So wird das Wort "striche" als "}r#e" umgesetzt. Steht zusätzlich ein Komma vor dem Zahlzeichen, so steht es für "richt", etwa in "Gerichte" entsprechend "&,#e". "#e" ist in diesen Fällen nicht als Zahl "5" zu lesen wie etwa bei "5fach" entsprechend "#e'f<".

Die Satzzeichen ",", ";", ":", "?" und "!" werden als Ankündigungszeichen oder zur Darstellung von Lautgruppen verwendet, wenn sie nicht am Ende eines Wortes stehen. So wird "analog!:" mit "+:og+:" übersetzt. "+:" ist am Wortanfang als Folge von Buchstaben, am Ende jedoch als Folge von Satzzeichen zu lesen.

Das Zeichen "x" steht am Wortanfang für die Vorsilbe "EX-", am Wortende für die Nachsilbe "-NIS" und im Wortinnern ebenfalls für "-NIS" oder für den Doppelkonsonant "MM". Der Buchstabe "x" wird dagegen mit vorangestelltem Apostroph als "'x" dargestellt. Allein stehend steht "x" für "immer", und auch in Wörtern wird es für "immer" verwendet, wobei dann ein Komma vorangestellt werden muss.

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2.7 Verzicht auf Groß-/Kleinschreibung

Die deutsche Blindenschrift unterscheidet im Regelfall nicht zwischen Groß- und Kleinschreibung. Eine Kennzeichnung ist nur in Sonderfällen vorgeschrieben. Von rückübersetzten Texten wird jedoch eine korrekte Wiedergabe der Groß-/Kleinschreibung erwartet. Sie müsste durch ein geeignetes Verfahren rekonstruiert werden, wie etwa der Klassifizierung von Wörtern und grammatikalischen Analyse von Sätzen.

Beispiel:

Der Satz "Ein Blinder hat bei seinem Lesen große Mühen" wird übersetzt mit "6 bl*d7 ht b 9{ l%c g~e m8hc" (nach der Ãœbersetzung sind keine Großbuchstaben mehr vorhanden).[2]

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2.8 Zeilenumbruch und Silbentrennung

Der hohe Platzbedarf der Blindenschrift bringt einen häufigeren Zeilenumbruch mit sich als in der Schwarzschrift. Die Silbentrennung hilft dabei, Platz zu sparen. Durch die Silbentrennung werden gekürzte Wörter in 2 Teile getrennt. Diese Situation muss an Zeilenenden erkannt und die Wörter wieder zusammengesetzt werden. Diese Problematik wird durch mögliche Auslassungsstriche vor oder nach Wörtern, die mit Trennstrichen verwechselt werden könnten, noch verschärft.

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3 Nutzen der Kurzschrift-Rückübersetzung

Durch die Kurzschrift als Kulturtechnik der Blinden entsteht ein Kommunikationsbruch zwischen Sehenden und Blinden. Man könnte sogar sagen, dass die Blindenkurzschrift Sehende ausgrenzt, da sie Texte, die von Blinden verfasst wurden, nicht lesen können. Dies ist besonders relevant in Schulen und an Arbeitsplätzen, an denen Sehende und Blinde gemeinsam lernen und arbeiten.

Folgende Anwendungsgebiete verdeutlichen die Notwendigkeit für die Rückübersetzung:

  1. Ohne Rückübersetzung sind Blinde gezwungen, Texte entweder direkt in 8-Punkt-Computerbraille (entspricht der Normalschrift) einzugeben oder Kurzschrift-Texte von Hand in Normalschrift zu übertragen.
  2. In der inklusiven Beschulung blinder Schüler an Regelschulen ist die Rückübersetzung für die Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler unbedingt notwendig. Wie sollten sehende Lehrer sonst in der Lage sein, Texte zu lesen, die von Blinden in Kurzschrift verfasst wurden? Dies gilt auch für den Hochschulbereich und andre Bildungseinrichtungen.
  3. In Szenarien, in denen blinde Mitarbeiter eines Unternehmens Protokolle, Konzepte, Anleitungen usw. verfassen müssen, ist die Rückübersetzung notwendig, um Texte für sehende Mitarbeiter aufzubereiten. Dies gilt insbesondere bei Mitschriften von Besprechungen oder Vorträgen, bei denen die Kurzschrift das Mitschreiben aufgrund der Zeitersparnis bei der Eingabe erst ermöglicht.
  4. In Systemen, die mit Sprachausgabe und Braille arbeiten, können Kurzschrift-Texte in normaler Sprache wiedergegeben werden. Es gibt zahlreiche "embedded Systems" mit Braillezeile für Blinde, die hiervon profitieren können.
  5. Druckereien und Verlage, die im Blindenwesen tätig sind, verfügen oftmals über Archive von Texten in Blindenkurzschrift, da andere Textformen aus urheberrechtlichen Gründen problematisch sein können. Mit der Rückübersetzung können diese Texte wieder in Schwarzschrift gewandelt und weiterverarbeitet werden (beispielsweise um alte Texte in die neue Rechtschreibung zu überführen oder für andere Seitenformate aufzubereiten).
  6. Durch die Möglichkeit, Kurzschrift-Texte automatisiert in andere Formate wie etwa HTML umzuwandeln, ergeben sich neue Tätigkeitsfelder für Blinde. Beispielsweise kann die Rückübersetzung als Bestandteil von Content Management Systemen dazu beitragen, dass blinde Mitarbeiter Inhalte für Webseiten auch unter Nutzung "ihrer Schrift" aufbereiten können.

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4 Gesetzliche Grundlagen

Ausgehend von der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen entstanden in den letzten Jahren zunehmend Ländergesetze zur Gleichstellung blinder Menschen. Dies kommt auch der Blindenschrift als Informations- und Kommunikationsmedium zugute.

So sagt Artikel 2 der UN-BRK:

"Im Sinne dieses Ãœbereinkommens schließt 'Kommunikation' Sprachen, Textdarstellung, Brailleschrift, taktile Kommunikation â€¦ sowie ergänzende und alternative Formen, Mittel und Formate der Kommunikation, einschließlich leicht zugänglicher Informations- und Kommunikationstechnologie, ein."

Eine EU-Richtlinie aus dem Jahre 2001 hat die Blindenschrift in das Bewusstsein einer breiteren Bevölkerungsschicht gerückt: die auf dieser EU-Richtlinie basierende 12. Novelle des Arzneimittelgesetzes schreibt ab 2007 die Kennzeichnungspflicht in Blindenschrift auf Verpackungen von Medikamenten vor.

Immer häufiger sieht man Blindenschrift auch im öffentlichen Raum, in Aufzügen, auf Handläufen in Bahnhöfen und Flughäfen, auf Türschildern in öffentlichen Gebäuden usw.

Das deutsche "Behindertengleichstellungsgesetz" (BGG) vom 27.04.2002 möchte eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen verhindern und für eine gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft sorgen und Menschen mit Behinderungen eine selbst bestimmte Lebensführung ermöglichen (§ 1 BGG).
[Internet] https://www.gesetze-im-internet.de/bgg/BJNR146800002.html

Das Behindertengleichstellungsgesetz mündete in zwei für blinde Menschen bemerkenswerte Verordnungen:

1. Die "Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung" (BITV 2.0)
vom 12.09.2011
[Internet] https://www.gesetze-im-internet.de/bitv_2_0/BJNR184300011.html

2. Die "Verordnung über barrierefreie Dokumente in der Bundesverwaltung" (VBD)
vom 17.07.2002
[Internet] https://www.gesetze-im-internet.de/vbd/BJNR265200002.html

Letztere bildet die Rechtsgrundlage dafür, dass blinde Menschen einen Anspruch auf Dokumente in Blindenschrift im Verwaltungsverfahren haben.

Die Forderungen des deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) gehen noch weit über das bisher Erreichte hinaus, was die sog. "Mainzer Erklärung" deutlich macht:
[Internet] https://www.dbsv.org/recht-auf-braille.html

Dieses "Recht auf Braille" sollte sich auch auf die Bildungspolitik auswirken, was der DBSV unter dem Thema "UN-Behindertenrechtskonvention und Bildung" darlegt:
[Internet] https://www.dbsv.org/brk-und-bildung.html

In diesem Zusammenhang muss auch der sog. "Marrakesch-Vertrag" erwähnt werden, dessen Umsetzung im deutschen Urheberrecht die Basis für die barrierefreie Aufbereitung und Verbreitung von Büchern und Zeitschriften bildet:
[Internet] https://www.dbsv.org/aktuell/eu-ratifiziert-marrakesch-vertrag.html

In diesem Kontext wird deutlich, welche Bedeutung einer Blindenschrift-Rückübersetzung zugemessen werden kann, die früher für nicht machbar gehalten wurde.

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5 Informationen zum Projekt

5.1 Projektziele

Ziel ist ein Kurzschrift-Rückübersetzungsprogramm, das sich durch portablen Code für den Einsatz auf unterschiedlichen Plattformen eignet (Windows, Macintosh, Linux) und aufgrund hoher Performance auch für eine Implementierung in embedded Systems geeignet ist.

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5.2 Lösungsansätze

Im Hinblick auf die oben genannte Problemstellung soll hier nur die Frage erörtert werden, wie die reine Wortübersetzung implementiert werden kann. Letztlich entscheidet sich die Rückübersetzbarkeit im Wesentlichen daran, ob und wie viele Wörter aus der Schwarzschrift zum gleichen Wortbild in Blindenschrift führen und somit nicht eindeutig sind.

Die Rückübersetzung von Texten besteht darin, ein jeweils gegebenes Wortbild in Blindenschrift in das ursprüngliche Wort aus der Schwarzschrift zu überführen. Es gilt also, ein bestimmtes Punktmuster zu erkennen und durch ein Wort in Normalschrift zu ersetzen. Möglicherweise wäre eine Mustererkennung mithilfe eines neuronalen Netzwerks ein brauchbarer Lösungsansatz. Oder etwa eine Datenbank, in der alle denkbaren Punktmuster und deren Entsprechungen gespeichert sind.

Diese technisch durchaus machbaren Ansätze wurden vom Autor aus folgenden Gründen verworfen:

  • Eine Lösung aus dem Bereich der KI wie etwa ein neuronales Netzwerk müsste mit einer enormen Datenmenge trainiert werden. Wissenschaftliche Untersuchungen wie beispielsweise das Wortschatzprojekt der Universität Leipzig haben erbracht, dass der deutsche Wortschatz aus mehreren Millionen Wörtern besteht.[3] Der Wortschatz ist speziell im Deutschen sehr groß, da die Möglichkeit, Nomenkomposita zu bilden, zu einer quasi unendlichen Anzahl unterschiedlicher Wörter führt.
  • Eine Reduktion des Wortschatzes auf Grundformen würde einen Algorithmus bedingen, der Nomenkomposita und die dadurch entstehenden Wortfugen treffsicher erkennen kann. Dies wiederum darf nicht zum Performanceproblem werden.
  • Das gleiche gilt für einen datenbankbasierten Ansatz. Die Zugriffszeit auf einen umfänglichen Wortschatz wäre nicht das Problem - hier bietet die Informatik extrem schnelle Indizierungsmethoden, wie wir sie täglich bei einer Internet-Recherche mit der Suchmaschine unserer Wahl erleben. Jedoch müsste die komplette Datenbasis innerhalb des Programms gespeichert werden, was dessen Umfang für die Implementierung in embedded Systems zu groß machen würde.
  • Jede Lösung, die auf einem trainierten oder gespeicherten Wortschatz beruht, ist auf eben diesen begrenzt. Außerdem haben wir es hier mit einer Art "Henne-Ei-Problem" zu tun, denn woher sollen die Daten kommen, mit denen die Datenbank gefüttert wird? Ein algorithmischer Ansatz dagegen, der auf linguistischen Regeln basiert, hat das Potential, auch bei unbekannten Wörtern korrekte Ergebnisse zu liefern.

In jedem Fall muss eine Trigramm-Analyse durchgeführt werden, um das jeweils richtige Wort aus dem Kontext zu bestimmen. Wird ein gut durchdachter "Suchen und Ersetzen"-Algorithmus verwendet, so ist auch zur Bestimmung der richtigen Kürzungen innerhalb eines Wortes eine Trigramm-Analyse erforderlich. Das bedeutet, dass mögliche Kürzungen daraufhin untersucht werden müssen, ob die Zeichenfolgen davor und danach dafür sprechen. Letztlich hat sich der Autor für diesen Ansatz entschieden, bei dem ein Zeichen oder eine Zeichenfolge nur dann als Kürzung interpretiert wird, wenn der Kontext es hergibt.

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5.3 Projektergebnisse

Das RTFC Braille Modul ist als Dynamic Link Library (DLL) für Windows und als portabler C-Quellcode für die Implementierung in embedded Systems erhältlich.

Zum Test des Algorithmus wird vom Autor ein Wortschatz im Umfang von 2 Millionen Wörtern verwendet, der als reiner Text einen Speicherbedarf von rund 40 MB hätte. Der Programmcode einschließlich aller Daten, der diesen Wortschatz mit über 99,99 % Genauigkeit quasi fehlerfrei übersetzt, ist jedoch nur rund 400 kB groß.

Neben RTFC selbst haben bereits 8 Firmen das RTFC Braille Modul in ihre Programme oder Geräte integriert. Während RTFC die Rückübersetzung von Dateien und Tastatureingaben unter Windows ermöglicht, bieten mittlerweile zahlreiche Braillezeilen, Notizgeräte und Screenreader gleichartige Funktionen mithilfe des RTFC Braille Moduls an.

Für Software unter Windows bieten wir ein Braille SDK zum Festpreis an, während das Modul für embedded Systems zu einem erschwinglichen Stückpreis pro Gerät erhältlich ist.
Anfragen von Hard- und Softwareherstellern sind erwünscht.

[1]Diese Maße beziehen sich auf das gesamte Punktschriftzeichen einschließlich des Zeichen- und Zeilenabstands. Bezogen auf die Mitte der Braillepunkte ist ein Zeichen 2,5 x 5 mm groß.
[2]In der Systematik der deutschen Blindenschrift gibt es zwar die Möglichkeit, Großbuchstaben zu kennzeichnen, eine Pflicht dazu besteht jedoch nur in Sonderfällen wie bei Maßeinheiten oder gemischter Groß-/Kleinschreibung.
[3]Das deutsche Korpus unter [Internet] https://corpora.uni-leipzig.de/de umfasst ca. 500 Millionen Tokens aus deutschen Zeitungstexten (Stand 2022).

Erstellt: 01.12.2010 18:00   Aktualisiert: 03.10.2024 10:00
Autor: Dipl.-Ing. (FH) W. Hubert
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